Von Hermann Abels.
Zur Abwechslung diesmal etwas Sprachkundliches. -
Ein in alten lateinischen oder griechischen Wörtern mit deutscher Bedeutung stehendes „ch“ muß nicht mit anlautendem „ch“ sondern mit dem einfachen „h“ ausgesprochen werden.
Die alten Griechen und Römer haben nämlich, soweit wir ihre Sprache verfolgen können, am Anfang einer Wortsilbe kein „h“ gesprochen: die ersteren hatten dafür überhaupt kein eigentliches Schriftzeichen, sondern nur den sogenannten „Spiritus asper“: einen nach rechts offenen kleinen Haken, der aber nur geschrieben, nicht gesprochen wurde; die Römer schrieben wohl das „h“ zu Anfang der Silbe, aber sie sprachen es ebenfalls nicht aus. Anders die alten Deutschen. Bei ihnen war das „h“ nicht bloß ein unhörbarer Hauch, sondern ein wirklicher Mitlauter, wie auch jetzt.
Als nun die Römer seit 113 vor Christus in Steiermark mit den Deutschen in nähere Berührung kamen, mußten sie sich auch mehr mit deutschen Namen befassen und sie in ihren lateinisch oder griechisch abgefaßten Berichten über die bedeutsamen kriegerischen Vorkommnisse wiedergeben.
(In Rom selbst war nämlich die griechische Sprache damals bis längere Zeit nach Christus die auch vielfach schriftlich benutzte Umgangssprache der vornehmen und akademischen Kreise.)
Da in damaligen deutschen Orts= und Personennamen vielfach auch Wörter oder Silben mit einem „h“ begannen, wußten die Schriftsteller sich nicht anders zu helfen, als daß sie, wenn ihnen eine solche Silbe mit anlautendem „h“ begegnete, statt dessen „ch“ schrieben, was sprachkundige damalige Leser wohl auch als deutsches „h“ ausgesprochen oder auszusprechen versucht haben werden.
Besonders klar tritt dies Verfahren z. B. in dem damaligen Volksnamen „Chatti“, dem jetzigen „Hessen“, hervor. Sicher nannten diese sich selbst damals „Hatten“; nun kam um 500 bis 600 n. Chr. die allen Kennern der deutschen Sprachgeschichte geläufige „zweite Lautverschiebung“, an der auch das oberdeutsche Hessen teilnahm, während das niederdeutsche Gebiet, in dem wir wohnen, bei der bisherigen Lautstufe blieb, so daß sich von da ab „Plattdeutsch“ und „Hochdeutsch“ schied. Aus dem bisher „Hatten“ benannten Volksstamme wurden dadurch „Hassen“, indem sich der Regel entsprechend das „tt“ in „ss“ umsetzte; später schliff sich das „a“ zu „e“ ab, so daß das heutige „Hessen“ herauskam.
Ein anderes, uns noch näher berührendes Beispiel liefert der Name Chasuarier, der ebenfalls aus der Zeit der alten Römer um Christi Geburt stammt und offenbar damals „Hasuarier“ oder vielleicht auch „Haswarier“ gesprochen wurde. Der Name ist ein Gegenstück zu den „Amsivariern“ – damit weiß der Leser schon genug: Letztere sind die Emsanwohner, erstere die Haseanwohner, eine Erklärung, die gar keinem Zweifel unterliegt. Der Name Ems ist aus der Zeit der alten Römer vielfach belegt: dagegen treffen wir den Namen der Hase – durch Zufall – erst um die Zeit Karls des Großen, also zu Ende des 8. Jahrhunderts, als „Hasa“ in lateinisch geschriebenen Berichten. Um diese Zeit aber war es mit den alten Römern längst vorbei und die Geschichtsschreiber zur Zeit Karls des Großen gute Deutsche, welche das „h“ zu Beginn der Silbe oder des Wortes auch richtig deutsch auszusprechen verstanden und dasselbe bei den Lesern voraussetzen durften.
Der notwendige und sichere Schluß auf die römisch=griechische Benennung des Volksstammes der Chauken ist hiermit gegeben. Die Römer werden nicht „Kauken“ und erst recht nicht „Kuaken“ von den damaligen Bewohnern als Selbstbezeichnung gehört haben, sondern „Hauken“, und somit ist der abwegige Schluß auf die Bedeutung „Bebeland“ (vergl. vor. Nr. von „Mein Emsland“) schon sofort abgetan; auch die Berufung auf die bisher gänzlich unbekannte „nordteutonische“ Sprache kann ihn nicht retten.
Auf die Wahrscheinlichkeit, daß die Hauken mit den von dem griechisch=römischen Schriftsteller Pytheas (etwa 330 v.Chr.) erwähnten „Teutonen“ gleichbedeutend seien, habe ich übrigens bereits in meiner 1927 bei Ferdinand Schöningh in Paderborn erschienenen Schrift „Die Ortsnamen des Emslandes“ S. 92 – 94 hingewiesen und die Bedeutung des Namens „Chauci“ (im Anschluß an die tiefgehenden Forschungen des als Germanist wie Geschichts= und Altertumskundiger gleich tiefschürfenden späteren Direktors des Gymnasiums zu Meppen Dr. Bernhard Hune im 1879er Programm des gen. Gymnasiums mit der Abhandlung „Ueber vorgeschichtliche Altertümer“) erklärt. In „hauc“ finden wir das heutige niederdeutsche „Huck“, was niedrige Erdhügel bedeutet, wie schon im Gotischen (um 400 n. Chr.) hauc und in dem altnordischen haugr, und das wir noch im jetzigen „Hucke“, „Huckepack“, „hocken“ besitzen. (Damit ist auch der Doppelvokal als gemeingermanisch belegt.) Von diesen Teutonen oder Hauken sagt Pytheas, daß sie auf „Erhöhungen im Sumpfgebiete“ wohnten und „getrocknete Erde“ (Torf) zur Feuerung benutzen. Wenn wir heute an die ostfriesischen „Warfen“ denken, so haben wir noch dasselbe vor Augen, was der alte Pytheas vor mehr als 2000 Jahren bei den damaligen Hukeleuten („Hauken“) sah.
Quelle: Mein Emsland 8. Jahrgang 1932 Beilage zur Ems-Zeitung
Druck und Verlag: Buchdruckerei der Ems-Zeitung L. Rosell, Papenburg