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Buchausschnitte

Der Wacholderbaum, einst eine Zierde des Sennegebiets

Nach Grimms Wörterbuch ist der Name „völlig dunkel“.


† Hermann Abels

Immer mehr Heideflächen verschwinden im Gebiet unserer Heimat. Einst war der Wacholderbaum ein Kennzeichen der Heide. Er stand zwischen den goldgelbblühenden Ginstern und der braunen Heide wie ein Wächter für die Erhaltung unseres Landschaftsbildes. Der bekannte Redakteur und Heimatschriftsteller Hermann Abels † schreibt über ihn:

Von der Urzeit her war der Wacholder unsern Vorfahren ehrwürdig, ja heilig, und wie man es noch heute für einen Frevel hält, die Schwalben durch Vernichten der Nester von seinem Hause zu vertreiben, so galt es stets für einen solchen, mutwillig Wacholderbüsche zu zerstören; wer das tat, für den hatte es Unheil im Gefolge. Unter ihnen wohnten nämlich nach dem Volksglauben gute Schutzgeister, die durch das Umhauen zu Unholden für den Täter wurden. Diese Meinung kann man noch jetzt u. a. am Niederrhein und besonders in Schweden vernehmen. Der Wacholder galt als eine Art Lebensbaum, der die Unsterblichkeit versinnbildet, und wenn man jetzt auf Friedhöfen unter dem Namen „Lebensbaum“ die aus Nordamerika stammende Thuja occidentalis mit Vorliebe anpflanzt, die zur selben Art gehört und mit dem Wacholder auch äußerlich große Ähnlichkeit hat, so ist darin eine augenfällige Forstsetzung des alten Volksglaubens unverkennbar. In manchen Gegenden nennt man den Wacholder „Queckholder“, was auch nichts anderes als „Lebensbaum“ bedeutet. „Queck“ oder „quick“ heißt lebendig, frisch, munter, das Wort finden wir wieder in Quecke, Quecksilber, Quickborn; noch bis Ende des 15. Jahrhunderts wurde in unserm Niederdeutsch das „lebende Inventar“ unserer Bauernhöfe unter der Benennung „dat Quick“ zusammengefasst. Wer auf der Wanderung ermattet unter einem Wacholderstrauch ein Schläfchen hielt, erwachte neugestärkt an Körper und Geist; wenn im Frühjahr Mensch und Tier mit dem aus Wacholderreisern zusammengesetzten „Fuhbusch“ geschlagen wurden, erlangten sie verjüngte Frische und Regsamkeit. Als in der alten deutschen Heidenzeit die Körper der verstorbenen Vornehmen feierlich auf dem Holzstoße verbrannt wurden, durften die Wacholderreiser als Mittel zur Anwartschaft auf das glückliche Heldenleben in Wodans Saal nicht fehlen.

Mannigfache Zauberkraft wohnte nach der alten, zum Teil noch hin und wieder zäh festgehaltenen Volksmeinung dem Wacholder inne. Die in ihm wohnenden Geister bannten alle Unholde, und der richtige Gebrauch schützte den, der ihn anwandte, vor allerlei Unheil. Der Fuhrmann macht sich aus ihm den Peitschenstock, dann können ihm die Pferde nicht festgebannt werden; wer aus einem Wacholderholzkruge trinkt, dem wird der Trank nicht schaden können, und wenn Gift sich darin befindet, wird dessen Wirkung aufgehoben; ein Reisestab aus Wacholder schützt gegen jeden Spuk; Wacholderzweige im Fundament eines neuen Hauses sichern vor Hexentücke; dasselbe ist der Fall, wenn man die Nadeln des Strauches in Hausflur, Küche und Stube streut. Der gelbe Samenstaub soll ein sicheres Mittel zur Förderung des Wuchses der Waldbäume sein. Wenn kleine Kinder kränkeln – so meint man im Waldeckschen -, soll man mit einem bestimmten fünfzeiligen Zauberspruch Wolle und Brot in den Wacholderbusch einer andern Feldflur stecken. Sogar gestohlenes Gut bringt dieser zurück, wenn man unter gewissen Zeremonien die Zweige niederbückt und, nachdem man einen Stein darauf gelegt hat, durch einen Zauberspruch den Dieb veranlasst, das Entwendete zurückzustellen. Wenn das in der Gegenwart noch wirksam wäre, dürften die Wacholderbüsche auf starken Besuch rechnen dürfen.  

Als Räuchermittel sind noch jetzt Wacholdergrün und –beeren nicht außer Gebrauch gekommen. Die letzteren heißen in einigen Teilen Westfalens „Weiheckeln“ (Weihbeeren). Der Name stammt daher, dass sie in der ersten christlichen Zeit, als Weihrauch noch nicht überall zu erhalten war, in der Kirche an dessen Stelle für das Räuchergefäß verwendet wurden. Leunis erwähnt in seiner Botanik dafür eine besondere Art Wacholder als Juniperus thurifera. Zu Heilzwecken hat in der Volksmedizin wohl keine andere Pflanze so ausgedehnte und vielerlei Anwendung gefunden und findet sie noch. Nach den mittelalterlichen Rezeptbüchern helfen die Beeren so ziemlich gegen alle innerlichen Leiden und manche äußerliche; sie werden verwendet zum Trockenessen, als Absud, als Wacholderwasser, Wacholderöl, Wacholderwein, Wacholdergeist und in der Gegenwart bekanntlich noch in hohem Maße für eine große Reihe von Branntweinarten (Genever, Doornkaat, Steinhäger, Machandel usw.). Zum Fleischräuchern eignet sich das Wacholderreis wie kaum ein anderes Holz und gibt den feinsten Geschmack. „Vor dem Holunder muss man den Hut ziehen“, hieß es vor fünfhundert Jahren, „vor dem Wacholder die Knie beugen“. Ein besonderer Liebhaber der erst im zweiten Jahre reif werdenden Wacholderbeeren ist der Krammetsvogel, der auch deshalb Wacholderdrossel heißt; nach dem „Jagd- und Weidwerkbuch“ von 1582 soll sich das wilde Kaninchen am liebsten in Wacholderbüschen aufhalten.

Die älteste nachweisbare Namensform ist wachalter und wacholter, daraus wurde später wachandel und niederdeutsch machandel; alte westfälische Bezeichnungen, die auch jetzt noch gebraucht werden, sind wachelstruk, waehete, wachelte, wekelte; in Schlesien finden sich seit 1589 die Formen jachandel und jacholter. „Das der Bildung zugrunde liegende Wort ist völlig dunkel“, bemerkt Grimms Deutsches Wörterbuch, das in einer seiner neueren Lieferungen einen sehr eingehenden Artikel über den Wacholder enthält. 

Die in vielen Gegenden vorkommende Bezeichnung „Kranewitt“ ist eine Zusammensetzung aus den althochdeutschen Wörtern chrana oder gruoni = grün und witu = Holz und bedeutet also „immergrüner Baum“.

Der sich an den Wacholderstrauch knüpfende, aus altersgrauer deutscher Heidenzeit stammende Volks- und Aberglaube hat für unsere Zeit nur mehr kulturgeschichtliche und volkskundliche Bedeutung; die Zuneigung unserer Vorfahren zu ihm sollen wir in Ehren halten und weiter pflegen; die Liebe zur Natur und die Freude an den einzigartigen und unersetzlichen, wenn auch noch so schlichten und herben Schönheiten der Heimat soll uns allen, jung und alt, in Dorf und Stadt das feste Gebot einprägen: Schützet und schonet unsere heimische Pflanzenwelt und darunter ganz besonders den arg bedrängten und mit dem völligen Untergang bedrohten, gerade die ödesten Flächen zu reizvollen Landschaftsbildern gestaltenden Wacholderstrauch!

 

Quelle: Die Warte 23. Jahrgang Heft 9 09 1962
Verlag „Die Warte“, August Thiele – Paderborn 

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