Von Hermann Abels.
In der Reihe der mittelalterlichen Bischöfe von Paderborn nach Meinwerk nimmt dessen Neffe Imad, der nach dem Tode des Italieners Rotho dessen zweiter Nachfolger wurde (von Weihnachten 1051 bis 3. Januar 1076), den bedeutungsvollsten Rang ein, sowohl in seiner Tätigkeit auf dem Diözesangebiete wie in Kunst und Wissenschaft.
Nikolaus Schaten sagt in seinen Paderborner Annalen Bd. I, Buch 6 zum Jahre 1076: „Ich möchte ihn zu den bedeutendsten und heiligen Bischöfen des Sachsenlandes zählen“, und bedauert, dass so wenige Nachrichten über den so ausgezeichneten Bischof auf uns gekommen sind, so dass nicht einmal der Ort seines Grabes gezeigt werden könne. „Nur das finden wir, dass im Nekrologium der Domkirche am Jahrestage seines Todes ein Seelenamt an dem Altare unter dem Turm im unteren Teile der Basilika festgesetzt ist und dass sein Körper an der Grenze des Turmes beerdigt sei.“ Diese letztere Tradition ist stets lebendig geblieben und Bischof Bernhard I., Eder Herr von Oesede (1127 bis 1160), hat nach der gleichen Quelle (Schaten, Ann. Padb. 1, VI, a. a. 1052) aus Verehrung für Imad, den er als Heiligen bezeichnet, angeordnet, dass an dessen Todestage auf seinem Grabe ständig ein Wachslicht brennen solle.
Als im Domturme die Ausschachtungen für die Anlage der neuen Orgel – die bekanntlich zu ebener Erde aufgestellt werden soll – und insonderheit für deren Gebläse vor kurzem begonnen wurden, hat die kirchliche Behörde mit größter Sorgfalt durch Sachkenner darüber wachen lassen, dass dabei nichts unbeachtet bleibt, was für die Kenntnis der Baugeschichte des Domes oder sonst irgendwie von Bedeutung ist; vor allem hat man aber seine Augen auf die Auffindung des Grabes des Bischofs Imad gerichtet.
Diese Vorsorge ist glänzend gerechtfertigt worden: am Donnerstag, den 21. Febr. stieß man in einer Tiefe von etwa anderthalb Meter auf Mauerwerk, das die deutlichen Anzeichen eines Grabes aufwies, das fast genau in der Linie der Längsachse des Domes mitten im Domturme liegt. Nachdem am Freitagvormittag nach dem Gottesdienste die Arbeiten wieder aufgenommen waren, wurde die über der Stelle liegende Schuttschicht vorsichtig fortgeräumt und man fand ein roh aufgemauertes Grab von gewöhnlichem Ausmaße, an dessen Sohle das vollständig erhaltene Skelett eines 190 Zentimeter großen Mannes mit dem Gesicht nach Osten lag. Der Kopf war nicht erhöht, die Arme lagen gerade gerichtet in den Gelenken neben dem Körper, die Beine waren nebeneinander ausgestreckt. Irgendwelche Beigaben und Reste von Kleidung kamen nicht zum Vorschein, auch war die Leiche nicht mit Steinplatten oder etwas Sonstigem zugedeckt. Die Längsseiten des Grabes waren aus gewöhnlichen Bruchsteinen in einfacher Weise aufgeschichtet, an beiden Seiten des Kopfes befanden sich zugehauene Steine, wie man ja auch in mittelalterlichen Steinsarkophagen für Kopf und Hals einen besonders ausgehauenen Platz zu sehen pflegt. Kopfende und Fußende des Grabes waren durch größere Steinblöcke von stark ½ Meter Höhe geschützt. Die ganze Arbeit zeigt keine Spur von vorher Vorbereitetem, vielmehr scheint das Grab erst nach dem Ableben des Beigesetzten hergerichtet zu sein. Wahrscheinlich ist die Leiche in einer Holzkiste eingeschlossen gewesen, von der keine deutliche Spur übriggeblieben ist, Beschläge oder irgendwelche künstlerische Zutaten wird sie nicht gehabt haben, sonst wären davon doch mindestens Spuren gefunden worden. Noch weniger ist irgendwelches Urkundliche entdeckt worden.
Trotzdem kann kein Zweifel darüber aufkommen, dass es sich um das Grab unseres großen Bischofs Imad (oder Immad) handelt, dafür zeugt der Fund an dieser Stelle auf das Deutlichste. Die Überreste sind im Laufe des 22. Februar von befugter Seite gehoben und an einem sicheren Orte aufbewahrt, um später in der Nähe des Fundortes wieder eine würdige Beisetzung zu finden. Es ist nicht im mindesten fraglich, dass diese Art des Begräbnisses dem letzten Willen Imads entsprochen hat, für dessen schlichten, demütigen Sinn sie Zeugnis ablegt. Es ist seit alter Zeit hergebracht, dass die Kirchenfürsten ebenso wie die weltlichen Fürsten testamentarisch über die Art und Weise der Beisetzung ihrer irdischen Hülle Bestimmungen treffen. Das hat Imad sicherlich auch getan, zumal er ein hohes Alter erreicht haben muss.
Ein zweiter schon bald nach Beginn der Ausschachtungen gemachter Fund soll hier noch kurz angedeutet werden, da er mit dem Bischofsgrab Beziehungen nachweist, die für die Baugeschichte unseres Domes von erheblicher Bedeutung sind. Nahe der Westmauer des Turmes fanden sich die Fundamente des Westabschlusses einer umfangreichen romanischen Apsis oder Concha, die aus früherer Zeit stammt als der Domturm und bei dessen Bau abgetragen worden ist. Hierin lässt sich mit Sicherheit der westliche Abschluss des Domes Meinwerks erkennen und es wird dadurch bewiesen, das dessen Bauwerk ein förmliches Westchor hatte an Stelle des heutigen Turmes, vielleicht nach Analogie anderer großen Kirchen mit zwei Flankierungstürmen, während der Domturm durch eine Kuppel über die Vierung vertreten wurde. Diese Flankierungstürme können jedoch schon aus konstruktiven Gründen nicht die jetzigen runden Treppentürme nördlich und südlich am Domturm sein. Letzterer wurde in weiten Kreisen bisher schon Meinwerk zugerechnet; diese Ansicht kann nunmehr als widerlegt gelten und es ist als sicher zu betrachten, dass niemand anders als Imad der Erbauer des Domturmes gewesen ist, der in dessen Bereich deshalb auch mit vollem Rechte seine letzte Ruhestätte wählte.
Meinwerks um 1010 erbauter Dom war bekanntlich noch nicht fünfzig Jahre alt, als er 1058 größtenteils durch Feuer zerstört wurde; Imad stellte das Werk seines Oheims an derselben Stelle und in ungefähr dem gleichen Ausmaße in zehn Jahren wieder her, jedoch mit Erweiterung von Chor und Krypta und, wie jetzt feststeht, Ersatz des Westchores durch den Riesenturm, in den der westliche Choraltar verlegt wurde, der Jahrhunderte lang dem Gottesdienste für die neu geschaffene Pfarrgemeinde des Maspern- oder Uekernviertels diente. Im Jahre 1133 sank Meinwerks und Imads Werk mit Ausnahme des Turmes und der Krypta in Asche.
Übrigens wurde schon lange in Fachkreisen die Ansicht vertreten, dass unser Dom früher ein Westchor gehabt habe. Namentlich hat der allbekannte Architekturschriftsteller Dehio in seinem Handbuch der Kunstdenkmäler (Band III, S. 24) diese Meinung verfochten; von unsern westfälischen Altertumskennern ist namentlich Giesers zu nennen, der schon vor Jahrzehnten für diese Annahme eintrat. Dr. Georg Humann bemerkt hierzu in seiner wertvollen Schrift über die „Baukunst unter Bischof Meinwerk von Paderborn“, Aachen 1918, auf Seite 72: „Es scheint dies die richtige Ansicht zu sein. Die am Westbau fehlenden Eingänge, das westliche Querschiff mit dem zwischen diesem und dem Turm eingeschobenen Bauteil (der offenbar noch auf Meinwerk zurückgeht) lässt schon hierauf schließen.“
Quelle: Die Heimat vereinigt mit den Heimatblättern der Roten Erde 6. Jahrgang 1924
Verlag: Heimatverlag GmbH, Dortmund