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Buchausschnitte

Eine Pfalz Karls des Großen in Paderborn.

Von Hermann Abels.

In keinem Orte des nördlichen Deutschlands hat Karl der Große so oft und so lange geweilt wie in Paderborn. Dort fand auch im Jahre 799 die geschichtlich bedeutsame Begegnung des Frankenkönigs mit dem aus Rom vertriebenen Papste Leo III. statt, von der man annimmt, dass sie den Anlass zur Begründung des neuen römisch-deutschen Kaisertums gegeben habe. Es wird uns in den Geschichtsquellen über eine mindestens siebenmalige längere Anwesenheit Karls an den Quellen der Pader und Lippe von 777 bis 804 berichtet, und schon aus dem Grunde hat man seit Jahrhunderten vermutet, dass er eine Pfalz in Paderborn besessen habe.

Eine solche wird auch tatsächlich in dem zeitgenössischen, in lateinischen Hexametern abgefassten Berichte über die Zusammenkunft des Königs mit dem Papste ausdrücklich erwähnt, nämlich in dem „Angilberti Carmen de Carolo Magno“, das wohl nicht mit Unrecht dem als „Homer“ aus der „Akademie“ Karls bekannten Angilbert zugeschrieben wird. In diesem wird die Lage Paderborns so anschaulich geschildert, dass man sie noch jetzt sofort als zutreffend wiedererkennt.

Da aber außer diesem Zeugnisse sich kein einziges gleichzeitiges oder späteres mehr findet, ebenso wenig eine Spur einer karolingischen Pfalz sich bisher in Paderborn nachweisen ließ, haben die Geschichtsforscher der neueren Zeit sich mehr dazu geneigt, diese Angabe des „Angilberti Carmen“ als eine dichterische Ausschmückung anzusehen, obwohl Angilberts Angaben, wenn auch nicht ins einzelne gehend, sehr bestimmt sind und von einem besonders prächtigen Bau reden. Erst die allerneueste Zeit hat unerwartet die Bestätigung der Mitteilung des „Angilberti Carmen“ gebracht und den als sicher zu erachtenden Beweis geliefert, dass in der Tat eine solche Pfalz in Paderborn bestanden hat, und ihre Örtlichkeit an einer Stelle festgelegt, wo man sie bisher nicht gesucht hatte.

An der Nordseite des jetzigen Domes traten nach Abb. 1 in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehntes bei dort vorgenommenen Bauten umfangreiche Mauerreste zutage, die ausnahmslos 1,87 m unterhalb des Pflasters des Domes liegen. Es sind bisher keine planmäßigen Ausgrabungen veranstaltet worden; die Mauerreste wurden gefunden 1907 bei Ausschachtungen für den Bau des Dompfarrküstereigebäudes und bei der Abtragung des Jahrhunderte alten Bauschuttes auf dem Gelände an der Nordseite des Domes, dem sogenannten Ikenberg, bei den Instandsetzungsarbeiten an der bekannten von Bischof Meinwerk 1017 erbauten Bartholomäuskapelle (vgl. Abb. 1), sowie 1909 bei der Anlage der Luftheizung für den Dom. Wie Abb. 1 ergibt, bleibt noch ein erhebliches, meist unbebautes Gelände übrig, das noch nicht durchforscht ist. Die hier beigefügten Abbildungen beruhen auf sorgfältigsten Aufnahmen des Dombauführers Architekten Johannes Brinkmann.

Dass es sich um eine zusammenhängende Bauanlage handelt, kann nach dem Gefundenen nicht dem geringsten Zweifel unterliegen. Das gesamte Mauerwerk steht auf gewachsenem Boden, an seiner Stelle stand also vorher kein Gebäude, für das Grundmauern nötig waren. Mauerwerk und Pflaster zeigen überall dieselbe Höhenlage, das gleiche Material und die gleiche Ausführung. Sämtliche Mauern sind in guter Technik ausgeführt, und der auf ihnen angebrachte Putz ist von besonderer Feinheit. Das Mauerwerk zieht sich nach Süden bis unter den Dom hin, der Hauptausgang des Baues wird nach Westen gelegen haben; man sieht ihn vor der Bartholomäuskapelle. An ihm fand sich ein Sandsteinpfeiler mit einer eisernen Öse, in der sich ein Torflügel bewegt hatte, und dieser Pfeiler hatte genau dieselbe Form wie der an dem Tore der an der Nordostseite aufgefundenen in der Zeichnung sichtbaren Kapelle, die dafür Zeugnis ablegt, dass es sich um ein Bauwerk aus christlicher Zeit handelt.

Die Abgrenzung des Bauwerks lässt sich bisher nur nach Westen und Osten feststellen, zum Teil nach Süden, wo sich unter dem nördlichen Querschiff des Domes die 1,16 m starke Abschlussmauer gefunden hat, während die westliche Abschlussmauer, die auf die nördliche Seitentür des Domes (sogenannte Rote Tür) läuft, sowie eine Binnenmauer, die sich zwischen zwei Seitenkapellen des Domes hinzieht, sich weiter nach Süden erstreckt zu haben scheinen. Wie weit der Bau sich nach Norden ausgedehnt hat, ist bisher nicht festgelegt, dass aber an der Nordostecke das Mauerwerk ununterbrochen weitergeht, ist durch Probenachgrabungen, die Brinkmann hat veranstalten lassen, nachgewiesen. Die Ausmaße der bis dahin festgestellten Mauerreste betragen rund 41 m von Westen nach Osten (von der westlichen bis zur östlichen Abschlussmauer gerechnet) und 35 m von Süden nach Norden. Wir haben also einen Bau von recht erheblichem Umfange vor uns.

An der Südseite des Bauwerks befinden sich die Unterbauten von zwei gleichlaufenden, ungefähr 6 m voneinander entfernten Mauern, die sich weiter nach Osten erstrecken und wohl zu dem Dome Karls des Großen führten. Dieser war nach den Angaben der Geschichtsschreiber mit großer Pracht ausgestattet, indessen im Jahre 799, als Papst Leo III. in Paderborn weilte, erst in der Krypta fertiggestellt, die von diesem eingeweiht wurde. Da Karl selbst 804 zum letzten Male in Paderborn war, hat auch er die Vollendung nicht mehr gesehen.

Durch die Ausgrabungen ist weiterhin erwiesen, dass es sich nicht nur um einen großen, sondern auch um einen kostbar eingerichteten Pfalzbau gehandelt haben muss. Das beweist die Anlage eines Mosaikpflasters, von dem bisher noch an zwei Stellen, in der Kapelle und im nördlichen Querschiff des Domes, hinreichende Reste aufgefunden sind, um seine Zeichnung klarzulegen. In Abb. 2 sind beide Reste in ihren Hauptteilen getreu wiedergegeben. Das Pflaster zeigt hiernach eine künstlerisch wie technisch vorzügliche Durchführung (vgl. hierzu auch die Mitteilung von Güldenpfennig im Jahrg. 1908 des Zentralblatts der Bauverwaltung, S. 68). Es besteht in der Kapelle aus drei Arten von rechteckigen Steinen von je bis zu 14,6 cm Länge und 7,3 cm Breite: rote, aus gebranntem Ton, die nur sparsam als Randleisten verwendet wurden (in der Abb. 2 treten sie als dunkle Streifen hervor), schwarze aus Schieferstein und weiße aus Kalkstein. Ganz besonders bemerkenswert nach der technischen Seite sind die letzteren. Sie sind bewunderungs- würdig scharf gearbeitet und an der Oberfläche fehlerfrei geschliffen, was bei den damaligen einfachen Mitteln eine große Kunstfertigkeit erforderte. Das gleiche Gestein, mit Ausschluss der roten Steine, ist in dem Mosaikpflaster im nördlichen Seitenschiff des Domes, dem sog. Hassenkamp, verwendet worden.

In der Erdschicht oberhalb der Mauer- und Fußbodenreste findet sich ein deutlich erkennbarer Streifen von Asche, namentlich Holzasche, die zum Teil mit Resten von geschmolzener Bronze durchsetzt ist und wohl den Beweis liefert, dass das Bauwerk durch Feuer zugrunde gegangen ist. Das Gebäude ist wohl nach damaliger Bauweise mit Holzschindeln gedeckt gewesen, und diese dürften nebst den hölzernen Innendecken dem Feuer reiche Nahrung gegeben haben. Wann dieser Brand vor sich gegangen ist, wird nirgends überliefert. Der im Jahre 915 vollendete Dom Karls des Großen selbst ist im Jahre 1000 durch Feuer zerstört worden, indessen ist wohl sicher, dass das in Rede stehende Bauwerk erheblich früher ein Raub der Flammen geworden ist, vielleicht schon zu Lebzeiten Karls oder kurz nach seinem Tode.

Da die Pfalz nicht wieder aufgebaut wurde – nach der vollen Beruhigung des Sachsenlandes hatte sie ihre Bedeutung verloren –, wird nach Einebnung des Platzes deren Vorhandensein dem Gedächtnisse der späteren Geschlechter allgemach entschwunden sein, und so mag es kommen, dass uns kein weiteres Schriftwerk irgend etwas mehr darüber meldet. Urkunden des Paderborner Bistums mögen darüber vorhanden gewesen sein, aber der Brand des Jahres 1000, der nicht nur den Dom, sondern alle umliegenden Gebäude und die ganze Ansiedlung bis auf wenige Häuser vernichtete, hat auch die Archive des Bistums beseitigt, sogar die Stiftungsurkunden konnten nicht gerettet werden.

Wenn somit außer der Erwähnung in dem „Angilberti Carmen“ jedes schriftliche Zeugnis über die karolingische Pfalz in Paderborn vermisst wird, so haben wir keinen Grund, in den vorgefundenen Überresten nicht eine solche zu sehen. Schon früher gelegentlich am gleichen Platze aufgefundenes vereinzeltes Mauerwerk hat man als Überreste des alten Domklosters angesehen, das bei dem Brande vom Jahre 1000 zugrunde gegangen ist.

Dagegen spricht aber, dass dieses in Verbindung mit dem Dome Karls des Großen stand, der nicht unerheblich weiter östlich lag, und zweitens, dass das Bistum bei seinen überaus ärmlichen Verhältnissen sicher nicht die reichen Mittel besaß, in der Zeit vor Meinwerk (1009 bis 1036) einen solchen Prachtbau zu errichten, der zu der kargen Lebenshaltung der Domgeistlichkeit in schroffstem Missverhältnis stand. Unbestreitbar handelt es sich um ein Gebäude aus der christlichen Zeit und vor 1017, also nicht vor 777, als zuerst die christliche Lehre planmäßig im Paderborner Lande verbreitet und in Paderborn das erste Holzkirchlein erbaut wurde. Es scheint nach den Verhältnissen des kleinen und sozusagen mittellosen Missionsbistums vollständig ausgeschlossen, dass in der Zwischenzeit bis zu dem reichen Bischof Meinwerk ein nur annähernd so kostspieliges Gebäude in Paderborn hätte aufgeführt werden können, für dessen Zweck auch nicht der geringste Anhalt zu finden ist.

Daher liegt der Schluss nahe, in den aufgefundenen Resten die der königlichen Pfalz Karls des Großen, der nördlichsten in dessen Reiche, zu erblicken.

 

Quelle: Die Denkmalpflege. 18. Jahrgang. 1916.
Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn. Berlin.

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