Volkswitz und nicht minder Volksspott hat sich von jeher mit den einzelnen Ständen beschäftigt, und manchmal in recht derber und drastischer Weise; das ist eben Volksgeschmack und noch heutzutage das Spottlied auf die jetzt ziemlich ausgestorbenen Leinweber („Die Leineweber haben eine saubere Zunft“). Wer am meisten hervortritt, wird auch naturgemäß in erster Linie die Zielscheibe des Volksscherzes und Volksspottes, deshalb hat der Welt- und Ordensklerus von ihm vorauf sein redlich Teil mitbekommen.
In Heft 8 findet sich im „Sammler“ ein sehr interessantes Tanzliedchen „Het Patertje“ aus den Niederlanden, was in diese Kategorie gehört.
Ich möchte aus meinen Jugenderinnerungen daran eine kleine Erzählung anknüpfen, die ich am anheimelnden Torffeuer des winterlichen Herdes des Emslandes vernahm. An sich hat sie keine Bedeutung wegen ihres Inhaltes, erscheint dagegen folkloristisch interessant, weil sie deutlich zeigt, wie man es fertiggebracht hat, das konfessionelle Element in dem Ganzen umzuwerten, ohne damit das Ursprünglich so umzugestalten, dass es nicht nach wie vor deutlich herausschaut, und zwar ist in diesem Falle das Katholische in das Protestantisch-Reformierte überfirnisst.
Die kleine Erzählung ist folgende.
Ein Kaufmann Hans Hillebrand hat eine junge, hübsche Frau. Auf diese hat der Dominé (reformierte Pastor) ein Auge geworfen und sie ist ihm auch nicht abhold. Beide suchen nach einer Gelegenheit, den Mann auf immer zu entfernen, ohne ihm direkt ein Leid anzutun. Dieser kommt nun zur Beichte zum Dominé. „Das ist eine sehr schlimme Sache“, meinte der Dominé, „die Sünde kann nur durch eine Wallfahrt gesühnt werden. Und zwar muss die Wallfahrt nach Swisterland gehen, gleich morgen mittag angetreten werden, und du darfst auf den Weg nur drei Brote mitnehmen.“ Der Mann ist bestürzt, aber, was kann es helfen? Er erzählt die Sache seiner Frau; die stellt sich sehr betrübt, ist aber gleichfalls der Ansicht, die Reise müsse in der vorgeschriebenen Weise ausgeführt werden. Sie wisse zwar nicht, wo Swisterland liege, aber das werde er schon unterwegs erfahren können.
Hans Hillebrand geht also vorschriftsmäßig am andern Mittag mit seinen drei Broten im Rucksack auf den Weg. Er fragt unterwegs nach Swisterland; die Leute halten ihn für einen Narren, als er sich darüber erkundigt, und geben ihm irgendeinen beliebigen Weg an. Er trottet getreulich fürbass, bis er gegen abend einem Handelsmann aus seinem Dorfe begegnet, der seine Kiepe voll Waren ausverkauft hat und sie leer auf dem Rücken nach Hause trägt; sie ist nur mit einer Decke gegen den Regen überzogen. Der Mann wundert sich nicht wenig, seinen guten Freund Hans Hillebrand in diesem Aufzuge zu treffen und fragt ihn nach dem Wie und Wohin. Hans Hillebrand erzählt sein Mißgeschick und sein Vorhaben.
Der Handelsmann durchschaut sofort den Zusammenhang und erklärt ihm: „Du dummer Kerl! Merkst du denn nicht, daß der Dominé und deine Frau dich beseitigen wollten? Swisterland gibt es ja gar nicht; du solltest mit deinen drei Broten elend verhungern! Ich wette, heute abend sitzt der Dominé mit deiner Frau gemütlich zusammen, lassen es sich wohl sein und machen spöttische Witze über deine Dummheit und den gelungenen Streich! Weißt du was, du gehst mit mir zurück, dann setzest du dich kurz vor deinem Hause in meine Kiepe, ich gehe mit dieser in dein Haus hinein, das Weitere laß mich nur besorgen.“
Dem Hans Hillebrand fiel es wie Schuppen von den Augen, und gesagt, getan. Es war bereits völlig dunkel, als beide in das Dorf kamen. Hans Hillebrand stieg in die Kiepe; der Handelsmann trat so in dessen Haus ein, als wollte er die Familie begrüßen. Da saßen richtig der Dominé und die Frau am Tische bei feinem Wein und saftigem Braten in vorzüglicher Stimmung; der Handelsmann wurde freundlich empfangen und eingeladen, an dem fröhlichen Abend teilzunehmen. Sofort legte er seine zugedeckte Kiepe ächzend ab, hängte sie an einen an der Wand befindlichen starken Eisenhaken und setzte sich als dritter im Bunde zu Tische. Die Stimmung wurde bald recht lebhaft und die Frau schlug vor, jeder sollte einen Vers singen. Angenommen.
Der Dominé war zuerst an der Reihe; er sang:
„Ich habe einen Boten ausgesandt,
Und der muß reisen nach Swisterland.“
Dann kam die Frau:
Ich habe ihm drei Brote mitgegeben,
Ich hoffe, er wird nicht lange mehr leben.“
Nun setzte der Handelsmann plattdeutsch ein:
„Hans Hillebrand, du hang´s an de Wand,
Hörst du wall dien´ eegen´ Schand!“
Da ertönt´s aus der Kiepe:
„Nu will´k is ut de Kiepe stiegen
Un den Dominé to´t Hus utdriewen.“
Den dramatischen Rest kann man sich selber denken.
Unter „Swisterland“ wird man jedenfalls eine Verdrehung der holländischen Bezeichnung Zwitzerland für Schweiz anzusehen haben.
Daß das Ganze nicht auf protestantisch-reformiertem Boden gewachsen ist, der sich ja in nächster Nähe der emsländischen Grenze am Bourtanger Moor befindet, leuchtet auf den ersten Blick ein. Ohrenbeichte und Wallfahrt sind durch und durch katholisch und stehen dem reformierten Prinzip diametral gegenüber. Offenbar handelt es sich um eine vorreformatorische Spotterzählung des Volksmundes über einen Pater, an dessen Stelle derselbe Volksmund in der katholischen Gegend, um bei der Geistlichkeit keinen Anstoß zu erregen, den Dominé setzte; dabei vergaß man, daß diese äußerliche Änderung an dem Stückchen, das man nicht gerne missen mochte, den alten Kern vollständig und unversehrt beibehielt. Man müßte das Volksgemüt schlecht kennen, wenn man darin irgendwelchen bewußten konfessionellen Fanatismus erblicken wollte; lediglich die Volksnaivität kommt hier zum Ausdruck, und gerade diese folkloristisch interessante Seite wollte ich in der Wiedergabe der kleinen anekdotischen Erzählung hervorheben.
Herm. Abels, Paderborn.
Quelle: Niedersachsen Illustrierte Halbmonatsschrift für Geschichte, Landes- und Volkskunde, Sprache, Kunst und Literatur Niedersachsens
15. Jahrgang 1909 - 1910