heede-ems.de

Übersicht - Buchausschnitte

Buchausschnitte

Die Paulsfreiheit Zugleich ein Abschnitt aus der Hümmlinger Geschichte

Von Hermann Abels.

Einen noch in seinen Beweggründen nicht völlig aufgeklärten Vorgang in der mittelalterlichen Geschichte des Hümmlings berichtet eine Urkunde vom St. Agnestage 1394, die sich in Kindlingers Geschichte der deutschen Hörigkeit, Berlin 1819, unter Nr. 141, S. 503 abgedruckt findet. In ihr begeben sich die freien Bauern des Hümmlings unter den Schutz des hl. Paulus, des Patrons des Bistums Münster, als „Paulsfreie“, also unter den Schutz des Bischofs von Münster als Landesherrn, bleiben aber, wie ausdrücklich gesagt wird, „des Stiftes Freie“, und verpflichten sich, dem Grafen Otto von Tekeneborch (Tecklenburg) keinerlei Dienste zu tun und keinerlei Zins zu geben und dem Stifte treu zu sein, so lange das Stift Münster die Kloppenburg an sich halte.

Die Urkunde ist ausgestellt in Sögel durch den münsterschen Richter Abele dortselbst, als Kornoten (Schöffen) sind unterzeichnet Ludike van Sagelen (Sögel) und Kleyne Hyneken van Waden (Wahn), unter den Zeugen finden sich aus dem Hümmling die Adligen Dyderich Schat (Burgmann von Haselünne), Stazes=Justacius von Hamme (alter Burgsitz und Bauerschaft bei Haselünne) und Otto von Alden (Ahlen, Kr. Aschendorf).

Dass sich Leute unter den Schutz eines Mächtigern begeben und dabei von ihrer Freiheit einbüßen, ist im Mittelalter ein sozusagen alltäglicher Vorgang, aber dass sie als Untertanen – das waren damals die Hümmlinger gegenüber dem Bischof von Münster – gleichsam gleichberechtigt auftreten für Erfüllung einer als selbstverständlich zu erachtenden Untertanenpflicht, muss auf den ersten Blick sonderbar erscheinen. Vielleicht erlangen wir hierüber einige Klarheit, wenn wir Sache und nähere Umstände uns etwas genauer ansehen.

Was war die Paulsfreiheit? Eine uns im 14. Jahrhundert entgegentretende Einrichtung des Bistums Münster, durch welche freie Bistumsangehörige sich unter den besonderen Schutz des Bischofs als Landesherrn stellen konnten, ohne damit von ihrer Freiheit etwas zu verlieren. Dazu bedurfte es ihres eigenen Antrages, es konnte also ein Zwang nicht ausgeübt werden. Durch die Aufnahme in die Paulsfreiheit verpflichtete sich der Bischof, sie gegen alles Unrecht und jede Gewalt zu verteidigen, dafür zahlten sie aber keine ständigen Abgaben, sondern ein Schutzgeld für jeden Fall der Verteidigung. Sonstige Pflichten und Dienste werden ihnen nicht auferlegt; sie bleiben persönlich freie Besitzer ihrer Hofgüter, an dem Rechte der Erbfolge wird nichts geändert, nur für den Fall, dass die direkte Linie ausstirbt, scheinen besondere Bestimmungen bestanden zu haben, so dass Erbe eines Paulsfreien nur ein Verwandter sein konnte, der das Recht der Paulsfreiheit hatte, und wenn ein solcher nicht vorhanden war, der Nachlass an den Bischof fiel.

Die vollständigen Satzungen der Paulsfreiheit sind uns nicht überkommen, so dass wir über ihre ursprüngliche Beschaffenheit nicht in allem klar sind, es ist aber wahrscheinlich, dass sie am Ende des 14. Jahrhunderts noch wesentlich ihre alte Form hatte. Auch begegnen uns ähnliche Institutionen in anderen Territorien, aber eine allgemeine deutsche Rechtsorganisation ist sie sicher nicht gewesen. Wie es aber mit vielen anderen mittelalterlichen Einrichtungen ging, dass nämlich ursprüngliche lose und freiwillige Vereinigungen von den Fürsten dazu benutzt wurden, als Zwangsorganisationen mit Lasten belegt und Steuerquellen zu werden, so scheint es auch in gewissem Masse mit der Paulsfreiheit gegangen zu sein, was uns aber in diesem Falle nicht näher berührt. Dass die Bischöfe von Münster auf die Paulsfreien Wert legten, geht übrigens daraus hervor, dass sie ihnen mehrere Privilegien zugestanden, darunter besonders eine – in ihrem örtlichen Umfange nicht sicher bekannte – Befreiung von Zöllen und Wegegeldern; so wird erwähnt: „Der Paulsfreie fährt ut und in Münster sunder tollen“. Paulsfreie werden aus verschiedenen Orten im alten Hochstift Münster erwähnt, außerhalb dessen, soweit bekannt, jedoch nur im Hümmling und in Vechta.

Wie in dieser Zeitschrift mehrfach erwähnt, geht die weltliche Herrschaft des Bischofs von Münster über das Emsland und die Grafschaft Vechta auf das Jahr 1252 zurück, als die Gräfin Jutta von Vechta („Frau von Mundelo“) ihre dortigen Besitzungen für die damals hohe Summe von 40.000 (damaligen) Mark an das Bistum Münster verkaufte. Es lässt sich geschichtlich verfolgen, dass dieser Verkauf den Urgrund für die Aufnahme der Hümmlinger Freien unter die münsterischen Paulsfreien abgegeben hat. – Hier müssen wir zunächst weiter ausholen.

Der alte verderbliche Streit zwischen Tecklenburg und Ravensberg um die Besitzungen im Nordlande hatte seit dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts geruht, als Graf Otto von Tecklenburg seinen einzigen Sohn Heinrich mit der Erbtochter von Vechta-Ravensburg verlobt und vermählt hatte. Dieser starb aber alsbald kinderlos vor dem Vater. Jutta zog als junge Witwe viel umworben sich auf ihre Güter in Vechta zurück, vermählte sich aber nach einigen Jahren mit dem Edlen Walram von Montjoie aus dem Geschlechte der mächtigen Grafen von Limburg, mit dem sie auf sein Schloss südlich von Aachen zog, um später eine bedeutende Wirksamkeit zu entfalten. (Vgl. P. H. Lange S. J. im K. Volksb. Meppen 1926, Nr. 109 ff.) Ihrer Güter im Nordlande entledigte sie sich der weiten Entfernung halber durch Verkauf, wie schon oben gesagt. Es herrschte damals die Auflösung aller Ordnung im Reiche, diese kennzeichnet sich genugsam durch die Worte Raubrittertum, Fehdezeit, Faustrecht, Interregnum.

Graf Otto von Tecklenburg überlebte seinen früh gestorbenen Sohn noch lange und starb erst im Jahre 1262. Nunmehr gingen seine Besitzungen an seine Schwiegersöhne Graf Heinrich von Oldenburg-Wildeshausen und Graf Otto von Bentheim über. Ersterer starb 1268 ohne Erben und das Ganze kam an die Bentheimer Linie unter Otto II. und nach dessen Ableben 1284 an seinen Sohn Otto III., der, um seinen Einfluss im Norden zu sichern, 1296 bei Wildeshausen die Kloppenburg anlegte, und zwar an einem strategisch sehr günstigen Platze, wo sich die Handelsstrassen nach Oldenburg, Vechta, Friesoythe, Quakenbrück (Osnabrückisch) und Haselünne (Münsterisch) kreuzen. Dass damit die Feindseligkeiten gegen Münster und Osnabrück in die Nähe gerückt waren, konnte niemand fraglich sein. Er kam aber wegen seines 1302 erfolgenden Todes nicht mehr dazu und sein Sohn und Nachfolger Otto IV. (bis 1328) hielt Frieden. Mit ihm starb der Mannesstamm des Tecklenburgisch-Bentheimischen Geschlechtes aus. Es folgte der nächste Seitenverwandte Graf Nikolaus von Schwerin (bis 1360), der sich des Hümmlings und des Saterlandes bemächtigte; ersterer war damals bekanntlich münsterisch, letzteres unabhängig. Noch gewaltsamer und roher waren seine Nachfolger Otto V. (bis 1388) und Nikolaus II. (bis 1400), mit denen wir in die Zeit der Paulsfreien des Hümmlings kommen.

Von den ständigen Fehden, Brandschatzungen und Plünderungen wurden die Nachbarn, nach der einen Seite das Bistum Münster, von der andern Seite das Bistum Osnabrück und die Bewohner dieser Landesteile so geschädigt, dass die Bischöfe Otto von Münster und Dietrich von Osnabrück sich verbündeten, um die Macht der Tecklenburger Räuber mit Waffengewalt zu brechen, deren Stützpunkt die Kloppenburg war. Als Preis der Tapferkeit namentlich der Burgmänner von Vechta fiel die Kloppenburg nach einer Belagerung von 54 Tagen Ende 1393 und im folgenden Jahre wurden auch Friesoythe und das Saterland erobert.

Hierdurch wird uns verständlich, weshalb die Urkunde über die Hümmlinger Paulsfreien in den Anfang des Jahres 1394 fällt und die Bedingung enthält, dem Stifte Münster treu zu sein, so lange dieses im Besitze der Kloppenburg sei. Noch war nämlich der Kampf zwischen Münster-Osnabrück einerseits und Tecklenburg andererseits nicht zu Ende, die Hümmlinger hatten neue Einfälle der etwa wieder erstarkenden Tecklenburger zu befürchten und Münster musste alles tun, um sich der Treue der im Rücken des Vechtaisch-Wildeshausischen Kampfgebietes sitzenden Hümmlinger zu versichern. Für diesen Zweck war die Aufnahme der Hümmlinger Freien in den mit besonderen Privilegien ausgestatteten Schutz der Paulsfreien des Stiftes Münster ein sehr geeignetes Mittel, da beide Teile dabei als gleichberechtigte Faktoren auftreten konnten. Es war der äußeren Form nach eine Art Bündnis, in der Sache aber eine Rückendeckung für Münster in einem noch umstrittenen Gebiete, die nur solange Bedeutung hatte, bis endgültige Zustände geschaffen waren.

Die Paulsfreien des Hümmlings haben sich bisher in Urkunden usw. nirgends wieder gefunden, und auch das ist nicht ohne Bedeutung. Wir haben gesehen, dass die Abmachung von 1394 ad hoc, d. h. für einen bestimmten augenblicklichen Zweck, und zwar offenbar auf Veranlassung des Bischofs von Münster, geschaffen sein muss. Nachdem Graf Nikolaus von Tecklenburg in den folgenden Jahren mit seinen Versuchen, sich wieder in den Besitz des Nordlandes zu setzen, keinen Erfolg hatte, leistete er im Jahre 1400 feierlich Verzicht auf die Herrschaft darüber zugunsten des Bischofs von Münster, die Kloppenburg wurde münsterisches Amt und auf dem Hümmling und im Saterlande war dieser von da an unbestrittener Landesherr.

Damit hatte die Paulsfreiheit auf dem Hümmling ihren Zweck verloren: den Paulsfreien bot sie keinen besonderen Schutz mehr, und der Bischof wird es nicht für politisch klug gehalten haben, die Paulsfreien mit Lasten zu belegen, die im bisherigen Vertrage nicht ausgemacht waren. In dem Meppenschen Renteiregister von 1551, vollständig abgedruckt bei Behnes „Beiträge zur Geschichte der Verfassung des ehemaligen Niederstifts Münster“ Emden 1830. S. 219 ff. finden wir die Abgaben auch der Hümmlinger Freien genau aufgeführt, aber von Paulsfreien ist dort nichts mehr erwähnt, offenbar ein Beweis, dass solche nicht erhoben wurden. Wahrscheinlicher ist, dass die ganze Institution längst nicht mehr bestand und vielleicht schon bald nach 1400 auf dem Hümmling, wenn auch nicht formell abgeschafft, so doch stillschweigend eingegangen war.

 

Quelle: Mein Emsland Jahrgang 1928 Beilage zur Ems-Zeitung

Verlag: Buchdruckerei der Ems-Zeitung  L. Rosell, Papenburg

Kontakt / Telefon