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Buchausschnitte

Saterland und Nordhümmling.

Von Hermann Abels.

Etwa in der Mitte der Westgrenze des jetzigen Freistaates Oldenburg liegt das kleine und von der Natur kärglich ausgestattete Saterland, das aber bis auf den heutigen Tag nach mehr als einer Beziehung die Augen der Forschung auf sich gezogen und ihr noch immer nicht klar gelöste Rätsel aufgegeben hat. Weil es unmittelbar an den nördlichen Hümmling stößt und mit ihm durch geschichtliche Vorgänge in alten engen Beziehungen gestanden haben muß, hat die Leserschaft von „Mein Emsland“ Anrecht darauf, wenigstens in knapper Form darüber unterrichtet zu werden, zumal die kernig-biederen Saterländer seit Jahrhunderten zu allen westlichen Nachbarn ebenso regen wie freundschaftlichen Verkehr unterhalten haben, der sich durch die neuen Kanalverbindungen demnächst zu gemeinsamem Nutzen noch wesentlich steigern dürfte.

Eine Darstellung der älteren Geschichte des Saterlandes im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es nicht, aus dem einfachen Grunde, weil über die Geschicke der Bewohner des eigenartigen Ländchens erst seit etwa 1300 unserer Zeitrechnung schriftliche Mitteilungen vorliegen, aus denen wir aber für die vorhergehende Zeit nichts Faßbares entnehmen können.

Die Saterländer selbst wissen nur in sagenhafter Form zu erzählen, daß sie aus dem jetzt holländischen Nordfriesland ausgewandert, über die Burtange bei Heede an das rechte Emsufer gekommen und dort nach Osten weiter wandernd schließlich im jetzigen Saterland seßhaft geworden sind. Wie lange diese Vorgänge zurückliegen, können die Saterländer nicht angeben, wenn aber ihre Sage weiter behauptet, daß sie ein bisher unbewohnbares Gebiet besiedelt haben, so kann das schon aus dem Bodencharakter des Saterlandes als vielleicht zutreffend gelten, wobei aber gleichzeitig angenommen werden muß, daß das wandernde Völkchen sich gewiß nicht freiwillig diesen vereinsamten Erdenwinkel zum dauernden Sitze erkoren hat.

Es blieb ihm aber wahrscheinlich keine andere Wahl, da es auf seiner weiten Wanderung so geschwächt war, daß es nicht mehr angriffsweise vorgehen konnte, andererseits aber auch auf diesem mindest fast unbewohnten Fleckchen Erde vor Angriffen von außen so gut wie sicher sein konnte. Um welche Zeit sich diese geschichtlichen Vorgänge abspielten, ist nicht genau zu ermitteln; es muß aber geschehen sein, als die aus dem nordwestlichen Insellande der alten Bataver über die Unterems vorgerückten Friesen schon im jetzigen Ostfriesland festsaßen und das Hinübertreten in ihr Gebiet verwehrten. Den einzigen Anhalt dafür kann die Sprachforschung bieten.

Das Saterland hat nämlich eine – jetzt von Jahr zu Jahr mehr schwindende – einheimische altfriesische Mundart, die sowohl im Wortschatz wie in der Grammatik eine ausgesprochene Eigenart von Altertümlichkeit aufweist, wie sie auch in Westfriesland heutzutage nirgends mehr anzutreffen ist. Das klarste und am leichtesten zu beschaffende Bild davon liefert der aus Damme i. O. stammende, aber in seinen jungen Jahren im Saterland (Ramsloh) lebende Fachgermanist Studienrat Prof. Dr. Julius Bröring im II. Teile seines Buches „Das Saterland“ (Oldenburg i. O., Gerh. Stalling, 1901), in dem man aber leider einen Abschnitt über die politische Geschichte des Saterlandes vermißt.

Es bedarf nicht der Hervorhebung, daß der saterländische Dialekt in seiner jetzigen Gestalt im Laufe der vielen Jahrhunderte von seiner Ursprünglichkeit manches verloren hat, aber dem Fachmann wird es durch Vergleichung mit dem Bestande und der alten Literatur des Westfriesischen im jetzigen Holland, des Nordfriesischen in Schleswig-Holstein und Heranziehung des Ostfriesischen im Reg.-Bez. Aurich nicht schwer fallen, das im Saterdialekte erhaltene Hochaltertümliche sowie das inzwischen aus dem Altsächsischen Eingedrungene festzustellen und daraus den Schluß zu ziehen, daß die saterische Volksüberlieferung der Herkunft durch Abwanderung aus Westfriesland sowie des Weges über die Burtange geschichtliche Wahrheit darstellt.

 Es war dem Völkchen auch kaum ein anderer Weg nach dem Osten möglich. Nördlich von der Burtange gab es überhaupt keinen stets wasserfreien Weg an beiden Ufern der Ems, ferner kam die Breite des Flusses in Rechnung, und südlich Burtange boten die Moorsümpfe Halt bis mindestens Bentheim: am rechten Emsufer war von der dichten Besiedlung scharfer Widerstand sicher, während der nördliche Hümmling noch fast menschenleer war.

Es ist nicht ausgeschlossen, vielmehr naheliegend, daß diese Westfriesen gerade auf diesen altsächsischen Bezirk ihr Augenmerk gerichtet hatten; die Sprachforschung stellt noch heutzutage fest, daß im Nordhümmling (und nur dort) sich eine nicht unerhebliche Anzahl von Worten, Ausdrücken und sonstigen Eigentümlichkeiten, besonders der Vokalisation, sich erhalten hat, die auffällig an das Alt-Westfriesische erinnern und sich aus dem Ostfriesischen nicht genügend erklären lassen, dagegen umso leichter, wenn der saterländische Zug sich längere Zeit dort aufhielt und sodann nach dem heutigen Saterland abgedrängt wurde.

Die Saterländer dürften aber auch mit ihrem neuen Besitze nicht dauernd zufriedengewesen sein; denn es finden sich mehrere Spuren dafür, daß sie dem Laufe der Marka – Name bedeutet „Grenzfluß“ – folgend, sich nach Süden auszudehnen versuchten, wie Ortsnamen wahrscheinlich machen. Aus dem Jahre 948 ist eine Ortschaft als „Weres“ in einem Register verzeichnet, die später stets Vrees genannt wurde. Für den Namen Weres ist durchaus keine Deutung zu finden, woraus man mit Recht schließen kann, daß in der betreffenden alten Handschrift ein Schreibfehler statt Vrees vorliegt. Auch Friesoythe, südöstlich von Scharrel und an der Söste gelegen, deutet auf die friesischen Saterländer. Zugleich läßt bei Vrees die obige Jahreszahl darauf schließen, daß eine solche „Friesen“-Siedlung in die Zeit vor 948 fallen muß, somit auch die in Rede stehende Saterländer Wanderung, die wohl schon in die Zeit vor den Sachsenkriegen unter Karl dem Großen fallen dürfte, von denen das Saterland ebensowenig als Schauplatz berührt wurde wie der Hümmling.

Gehen wir jetzt kurz zu dem über, was die saterländischen Namen uns verraten.

Ramsloh, der Mittelpunkt und Hauptort des Saterlandes, wird zuerst am 9. Juni 1459 (Friedländer, Ostfr. Ukdb I, 642) genannt, also verhältnismäßig spät und Ramelslo geschrieben. Die Bedeutung des Grundwortes lo ist klar: ein Laubgehölz, und zwar in der Regel ein künstlich hergestelltes, also angepflanztes, das zumeist auf eine alte Stätte hindeutet, an der unter freiem Himmel Gericht gehalten wurde (Burggericht, Gogericht, Freigericht, auch wohl ein Holzgericht um die Waldgerechtsame, „Holtding“, „Hölting“). Schwieriger zu deuten ist das im Genitiv stehende, also ein Eigentumsrecht oder eine Beziehung andeutende „Ramels“. Dies a (auch o gesprochen) ist lang: Ramel kann deshalb nicht von ramm = männliches Schaf, hergeleitet werden; die Deutung von Dr. Jul. Bröring („das Saterland“ I, S. 17, Anm. 1) aus „rom“ = Rahm, also „das Beste der Gegend“, ist gesucht und nicht ernstlich haltbar.

Sehr zahlreiche „Lohe“ zeigen den Namen des Besitzers der betreffenden Gerichtsstätte, fast stets den Inhaber des Haupthofes, in dessen Bereich sie lag. Wir werden deshalb schwerlich fehlgreifen, wenn wir in ram die auch sonst in Norddeutschland viel vorkommende Kürzung aus Raban (Rabe), eines uralten und bei Edelingen besonders beliebten Personennamens, erblicken. Das „el“ bezeichnet dann die Zugehörigkeit, das Eigentum. Ramel selbst findet sich noch heutzutage nicht selten mit der Herkunftssilbe „er“ als Familienname Remler. Aus diesem Ortsnamen können und dürfen wir also noch etwas Weiteres schließen. Nämlich, daß Ramsloh ursprünglich ein mit Gerichtsame versehener bedeutender und vornehmer Einzelbesitz gewesen ist, aus dem sich im Laufe der Zeit die Hauptortschaft des Saterlandes entwickelte.

Scharrel, etwa 3 km südlich von Ramsloh, hat ebenfalls wohl sicher im Grundworte das lo, indessen in seiner ursprünglich umfassenderen Bedeutung als Laubgehölz, Laubwald (nie Nadelholzung!) im allgemeinen. Schwieriger ist das Bestimmungswort zu deuten, zumal sich als älteste bekannte Namensform erst 1376 „Scharle“ findet (Suve, Gesch. des Hochstifts Osnabrück. I, S. 253, Anm 1) und in diesem Falle ein ursprünglicher herrschaftlicher Besitz, also die Herkunft des Namens von einem Eigennamen, nicht in Betracht kommen dürfte.

Im Volksmunde heißt Scharrel jetzt Scheddel, und diese Wandlung steht mit der neueren Entwicklung der saterländischen Mundart in gutem Einklange. (Aus scarlo, schedelo, sodann Verkürzung des langen e und als Folge davon die Verdoppelung des d.) Scar bedeutet das Getrennte, vom altgermanischen Verbum scarjan, das wir in der emsl. Mundart noch in “schäüren“ = reißen, abreißen und im Hauptworte, ein von einem Flusse abgetrenntes Stillwasser besitzen. (Vgl Abels, Ortsn. d. Emsl. S. 54 unter „lake“.) Scharrel würde somit einen vom übrigen Walde abgetrennten Teil bedeuten, ähnlich wie die oft vorkommenden „Sundern“. Daß Scharrel ein bedeutendes Gemeindeholz von Eichen besitzt, betont Dr. Bröring a. a. O. S. 28 Anm. 1.

Strücklingen, das nördliche Kirchspiel des Saterlandes, besteht als solches aus verschiedenen Ortschaften. Der Name Strukelinge begegnet uns erst 1473, es werden damals erst zwei Haushaltungen genannt. 1568 bereits 19 (Dr. Bröring a a O. S 34). „Struk“ ist offenbar Strauch; die „linge“ bezeichnet einen kleinen künstlichen oder natürlichen Graben zur Ableitung des Wassers, wie solche besonders in morastigen Gegenden erforderlich sind. (Näheres Abels a. a. O. S. 56.) „Strukelinge“ würde somit ein Ablauf sein, der durch Strauchholz fließt.

Die Namen der übrigen Ortschaften, die jetzt unter dem Sammelnamen Strücklingen zusammengefaßt werden, erklären sich zumeist ohne weiteres, so Utende, Bokelesch, Wittensande, Osterhausen, Idafehn, Elisabethfehn. Für Bibelte fehlt mir das notwendige Material; „Boldynck“, jetzt Bolling, rührt sichtlich von einem nach einem Eigennamen benannten Besitze her (vgl. „Bollingerfähr“ bei Dörpen). Alle diese Namen – vielleicht mit Ausnahme von Bibelte – sind niedersächsisch und daher aus der jüngeren Zeit.

 

Quelle: Mein Emsland Jahrgang 1931 Beilage zur Ems-Zeitung

Verlag: Buchdruckerei der Ems-Zeitung  L. Rosell, Papenburg

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