Von Hermann Abels.
Die ältesten gesicherten Wörter des germanisch-deutschen Sprachschatzes sind fast ausnahmslos Eigennamen von Volksstämmen oder Personen und treten uns erst von etwa 60 Jahren vor Christus an entgegen. Dies geschieht aber in lateinischen und griechischen Schriftwerken, also in derjenigen Form, wie die betreffenden Aufzeichner sie hörten und in ihrer Schreibweise wiedergeben mussten, da die alten Germanen und Deutschen selbst keine diesen Fremden verständliche Schriftart besaßen, wenn sie überhaupt von einer Schreibkunst etwas wussten.
Um also die richtige damalige Aussprache solcher Wörter zu ergründen, müssen wir diejenige Form zugrunde legen, welche die Lateiner bezw. Griechen zur Zeit der Abfassung der betr. Schriftwerke zur Anwendung brachten, nicht aber die heutzutage übliche. Im Nachstehenden sollen uns kurz die mit ch anlautenden alten Wortstämme beschäftigen, weil sie für unsere engere Heimat und deren Umgebung besondere Bedeutung haben und sich auf ein in etwa klar abgegrenztes Gebiet beschränken, soweit uns überhaupt solche überliefert sind.
Wie haben die alten Griechen und Lateiner, wenn sie das anlautende ch zur Verwendung brachten, es ausgesprochen? Ohne Zweifel nicht wie wir unser k, sondern als halbvokalischen Hauchlaut, der unserm inlautenden ch in „manchen“, „Sache“, „brechen“ nahe kam. Eine solche Aussprache deckte sich schon damals nicht mit der bei den Germanen und alten Deutschen üblichen; diese sprachen vielmehr wo wir in dem betreffenden alten Schrifttum das ch finden, unser heutiges h. Aber weshalb? Aus dem einfachen Grunde, weil weder Griechen noch Römer (ebensowenig verschiedene später in die Geschichte eintretende östliche Volksstämme, z. B. Russen) unser halbkonsonantisches h aussprechen konnten, da es ihren Muttersprachen fehlte. Das sehen wir heutzutage ständig z. B. an den Franzosen, die auch ihr „h aspirée“ ebenso wenig aussprechen wie das einfache h. Die Italiener haben das h zu Anfang der Silbe vollständig auch in der Schriftsprache über Bord geworfen, desgleichen eine Anzahl anderer romanischer Sprachen mit phonetischer Schreibung. Die alten Griechen deuteten dies h durch den Spiritus asper an, die alten Römer schrieben es noch, aber sprachen es nicht mehr; allen romanischen Völkern aber wird es heutiges Tages schwer, wenn sie die deutsche Sprache lernen, die halbkonsonantische Aussprache des deutschen h sich anzueignen. Bei den Namen und Wörtern, welche uns schon in der ältesten Zeit lateinisch mit einfachem h im Anlaute entgegentreten, ist dies auch schon in ältester Zeit stumm gewesen, z. B. Heruler, Helvetier: gesprochen Eruler, Elvetier.
Für die Forschung beachtenswert ist der Umstand, dass das Gebiet des alten Anfangs-ch in Deutschland sich ziemlich scharf abgrenzt. Es erstreckte sich etwa von der Fulda westlich bis an den Main, nach Norden über beide Ederufer und den Osning, dann die Lippe entlang an den Rhein, der Maas folgend in das Gebiet der Hase und Unterems bis an Friesland. Im Süden berührte es nördlich von Würzburg das spätere Frankengebiet, dann treffen wir nach Osten im Winkel von Rhein und Main ein anscheinend hessisch-fränkisches größeres Mischvolk.
Unser Paderborner Land und seine nächste Umgebung lag, wie bekannt, im Lande der Cherusker, deren Namen wir aber als Herusker aussprechen müssen. Diese werden seit etwa 60 v. Chr. genannt, und damals saßen sie vom Teutoburger Walde (Osning) bis über Leine und Harz („Melibocus saltus“), wurden aber später weiter nach Westen abgedrängt.
Nördlich von ihnen wohnten an der oberen Hase die Chasuarier, richtig Hasuarier oder Haswarier: Bewohner des Hasegebietes, die indes erst um Christi Zeit erwähnt werden.
Ebenfalls von etwa 60 v. Chr. An finden wir die Chauken, richtig Hauken in den Niederungen von der Ems bis an die Isel, wo sie noch um 400 n. Chr. genannt werden. (Auf der um 170 n. Chr. entstandenen Ptolemäischen Weltkarte, die in ihren Angaben und besonders in der Schreibung der Namen sehr ungenau ist, werden sie Cauchi mit dem Sitze an der Nordseeküste zwischen Ems und Elbe genannt.)
In ihrer Nähe saßen um 300 n. Chr. die Chamaven, also richtig Hamaven.
Die Ptolemäische Karte nennt auf der jütischen Halbinsel noch „Charudes“, die uns indes sonst nirgend begegnen.
Der für unsere Darlegungen wichtigste und beweiskräftigste Völkername ist der der Hatten, die uns seit etwa 60 v. Chr. als Chatti beiderseits der Eder begegnen, wo sie anscheinend zwischen 300 und 200 v. Chr. Sitze von den nach der linken Rheinseite verdrängten Kelten eingenommen hatten, die ihnen aber wieder etwa um 400 n. Chr. von den oberrheinischen Franken streitig gemacht wurden, was zu einer Vermischung beider Völker (zum Teile mit Zunahme alemannischer Stämme) führte. Der ursprüngliche niederdeutsche Stammescharakter der Hatten verlor sich dadurch allmählich mehr zugunsten des oberdeutschen, was besonders bei der Sprache hervortrat. Vor dem 6. Jahrhundert finden wir nämlich in Schriftstücken römischer oder griechischer Autoren – deutsche sind aus damaliger Zeit nicht überliefert – stets die Bezeichnung „Chatti“, seit dem Anfang des 6. Jahrhunderts tritt dagegen der Name „Hassi“ in lateinischen Schriftstücken deutscher Verfasser (die so schrieben, wie es der der Deutsche hörte) auf, woraus sodann später durch Schwächung des a „Hessen“ entstanden ist, also die oberdeutsche Wortform infolge der eingetretenen zweiten oder oberdeutschen sog. Lautverschiebung, die Niederdeutschland nicht mitmachte, so dass der große Unterschied zwischen süd- und norddeutscher (plattdeutscher) Sprache eintrat. Diese Lautverschiebung ist aber im Hessischen nicht so folgerichtig durchgedrungen wie im eigentlichen Süddeutschland, weshalb der Literarhistoriker die erstere als „mitteldeutsch“ zu bezeichnen pflegt. Für unsern Zweck ist dieser Umstand ein Grund zu der Annahme, dass das Gebiet der Hatten, wie schon betont, ursprünglich, wie alle übrigen mit dem römisch-griechischen Ch am Anfange ihres Namens, zum nördlichen Deutschland gehörte.
Ein niederdeutscher Volksstamm unter dem Namen der Chattuarier (Hattuarier) tritt um 150 n. Chr. rechts des Rheins von der Ruhrmündung bis zur Isel hervor, dem wir bis 400 an der Lippemündung und am Unterlaufe von Rhein, Waal und Maas, westlich durch die Friesen vom Meere getrennt, begegnen. Diese müssen ausgesprochene Norddeutsche gewesen sein; ob sie aber zu den Hatten (Hessen) in Beziehung zu bringen sind, ist nicht zu entscheiden, weil über ihren späteren Verbleib jede Nachricht fehlt.
Personennamen mit anlautendem ch sind uns bereits aus früher Zeit erhalten, und zwar aus der Periode der Römerkriege, nämlich Chariowalda und Chariomerus, beide tapfere Krieger, deren Namen auch auf das Heer Bezug haben: ersterer bedeutet den „des Heeres Waltenden“, letzterer den „im Heere Gefeierten“. Ersterer Name hat sich in ganz Deutschland, besonders auch im Paderborner Lande als Familienname häufig erhalten: Herwald (Herold, Harald); letzterer ist seltener, kommt aber in Adelskreisen noch manchmal vor: Hermar.
Aus dem oben Angeführten geht – um das noch lose anzufügen – deutlich hervor, dass der heutige Name des Befreiers Deutschlands im Jahre 9 n. Chr., Hermann, mit dem von den Römern als Armin überlieferten nicht gleichbedeutend sein kann. Wenn er jetzt mit h beginnt, musste er zur Römerzeit mit Ch anfangen, genau so wie Chariowalda und Chariomerus. Armin hätte aber etwa zu Ermen werden müssen.
Quelle: Heimatborn
Monatsschrift für Heimatkunde des ehemaligen Hochstifts Paderborn
und der angrenzenden Gebiete
Elfter Jahrgang 1931 Nr. 1