Von Hermann Abels.
Man liest in Schriften über die ältere heimische Geschichte und Landesverfassung von „Wachszinsigen“ als von Leuten, die sich mit Genehmigung auf Kirchhöfen angesiedelt hatten und dafür einen Zins in Wachs liefern mussten. Das Wort Kirchhof ist dabei aber nicht in dem Sinne von Begräbnisplatz, Friedhof („eingefriedigter Hof“) zu verstehen, der damals in der Regel die Kirche umgab, sondern bezeichnete solche Höfe, ländliche Besitzungen, die im Eigentum der Kirche standen, also Kirchenland.
Deren Pächter genossen, weil sie auf kirchlichem Besitztum wohnten, die besonderen Schutzvorrechte, deren sich nach den Bestimmungen Karls des Gr. der liegende Kirchenbesitz erfreute und werden in der frühesten Zeit wohl nur jährlich eine bestimmte Menge Wachs als Pachtzins gegeben haben, wodurch der Verbrauch der betreffenden Kirche an Kerzen und sonstigen Vorrichtungen für die Beleuchtung ganz oder zum Teile gedeckt wurde. In der Folgezeit änderte sich zumeist die Pachtabgabe, es musste regelrechte Pacht gezahlt werden, dabei aber wurde nach wie vor ein kleines Quantum Wachs geliefert, wodurch die Leute anerkannten, dass sie auf Kirchenland sesshaft waren. Auf diese Weise blieb der Name „Wachszinsige“ von Jahrhundert zu Jahrhundert erhalten.
Solche Wachszinsige konnte jede Pfarr- oder sonstige Kirche haben, die über den nötigen Grundbesitz verfügte; aber in späterer Zeit – von wann ab, ist nicht genau festzustellen – kam noch eine andere Klasse von Leuten gleicher Benennung hinzu, die wir genau unterscheiden müssen. Sie finden sich nur bei Dom- und Hauptkirchen mit Hoheitsrechten und in deren Bereiche; mit den anderen Wachszinsigen haben sie nur den Namen gemein. Von den betreffenden Kirchen erhielten sie nichts an liegendem oder sonstigem Besitz, sondern befanden sich bloß in deren Schutze, der unter Umständen aber einen wesentlichen Vorteil darstellte. Nur von solchen ist im Nachstehenden die Rede.
Unter der Verwaltung des Domkapitels bestand auch am Dome zu Münster eine Genossenschaft der Wachszinsigen unter dem Patronat der allerseligsten Jungfrau in Ambitu, deren Patronatskirche die kleine Muttergotteskapelle im Kreuzgange des Domes war. Dieser heißt von Alters her „Umgang“, lat. Ambitus, daher also der Name „Wachszinsige in Ambitu“. Diese waren über das ganze Stift verbreitet; da unser Emsland 1242 unter die weltliche Herrschaft des Fürstbischofs von Münster kam, sind sie jedenfalls erst nach diesem Jahre bei uns eingeführt, vielleicht auch erst 1667, scheinen aber auch hier nicht gering an Zahl gewesen zu sein.
In diese Gemeinschaft konnten nur freie Leute aufgenommen werden, d. h. diejenigen, welche neben den staatlichen und kirchlichen allgemeinen Verpflichtungen keine solchen aus Hörigkeit oder Dienstbarkeit zu erfüllen hatten. Diese bildeten bekanntlich im späteren Mittelalter auch bei uns in der Bauernschaft die Minderheit. Durch die Aufnahme als Wachszinsige entstand ihnen keine Einbuße an dem Stande als Freie, ebensowenig, wie das bei den münsterischen Paulsfreien der Fall war, über die wir kürzlich etwas vernommen haben; die Bedingungen waren ebenfalls sehr milde: ein Beweis, dass dem Landesherrn daran gelegen war, möglichst viele solcher Wachszinsigen zu gewinnen. Als Anerkennungsgebühr wurde von jedem jährlich ein Pfennig gezahlt und auch bei dem stetig sinkenden Geldwert ist diese Abgabe nie erhöht worden, ein Beweis, dass es nicht auf deren Höhe, sondern nur auf die Verbindlichkeit zur Abgabe ankam. Starb ein solcher Wachszinsiger, so trat der Landesherr (Fürstbischof) als sein sinnbildlicher Erbe auf, indem er das Recht auf dessen bestes Kleid hatte (also eine Art Heergewedde), was aber durch eine geringe Geldsumme ausgelöst werden konnte.
Der Fürstbischof konnte das Schutzverhältnis nicht kündigen, der Wachszinsige selbst es aber jederzeit aufgeben, musste dann aber einen Goldgulden, also ebenfalls eine verhältnismäßig unbedeutende Summe, zahlen und war damit aller Verpflichtungen ledig. Die Wachszinsigen genossen als sonderliche Schutzbefohlene des Fürstbischofs als weltlichen und auch geistlichen Landesherrn – was dabei untrennbar war – gewisse Befreiungen und Vorzüge auf dem bürgerlichen und gerichtsständischen Gebiete, die wir aus dem Emslande nur aus späterer Zeit kennen, als dies (seit 1667) auch kirchlich dem Hochstift Münster angegliedert war. Darüber gibt Auskunft ein bei Behnes, „Beiträge z. Gesch. ds Niederstifts Münster“, Emden 1830, S. 213, Urk. 9 abgedruckter Erlass des Fürstbischofs und Kurfürsten Clemens August vom 6. Februar 1751.
Veranlassung zu dem Edikt boten die Klagen „einiger aus dem Ambte Meppen und in Specie aus dem Gerichte Lathen, so sich unter den mit vielen Privilegien begabten Schutz der allersähligsten Jungfrauen Mariae dahie (Münster) begeben, vulgo aber Wachszinsige genannt werden, was maßen sich der dahsige Ambts meppische Fiscus unternähme, …einen ohnerlaubten Eintrag zu tuhen“. Nach den Erklärungen des Fürstbischofs konnten die Wachszinsigen nicht zur „Folge“ (Landfolge, sequela) herangezogen werden, eine Art Landsturm, die in dringenden Fällen zur Verteidigung des Landes u. der öffentl. Sicherheit, z. B. gegen Banden von Räubern, Zigeunern, Landstreichern aufgeboten wurde, auch bei Wolfsplagen Hilfe leisten musste, durften auch „in einigen Stücken“, die als damals allgemein bekannt nicht einzeln aufgeführt werden, „nicht einmal vor den weltlichen Ober- und Untergerichten, sondern (nur) vor dem geistlichen Vikariatsgericht belangt werden, weil sie für sozusagen geistliche (Leute) zu halten sind“.
Dies geistliche Gericht, was noch jetzt bei allen Diözesen als Synodal-Gericht oder Offizialat besteht, hatte damals einen weit größeren Rechtsbereich als heute und umfasste verschiedene Angelegenheit, die jetzt den weltlichen Gerichten unterstehen. Unter ihm standen die für die einzelnen Bistumsbezirke (jetzt etwa Dekanate) als untere Instanz fungierenden Archidiakonatsgerichte, und an diese verwiesen zu sein, wurde ebenso wie das Recht der Berufung an das Synodalgericht im Allgemeinen für einen Vorzug gehalten.
Für den Bischof als Landesherrn hatte dies Verhältnis der Wachszinsigen vornehmlich den Wert, dass er diese als um ihrer eigenen Interessen halber besonders ergebene Untertanen und Vertreter seiner Rechte auch in landesherrlichen Dingen betrachten konnte, sowie – was damals ins Gewicht fiel – auch gegenüber seinen eigenen Beamten, die großenteils nicht übermäßig selbstlos waren, um in ihrer Amtsführung den eigenen Nutzen hintanzustellen. Auch von dem prachtliebenden und infolgedessen oft stark in Geldmangel steckenden Kurfürsten, einem bayerischen Prinzen, konnte man gerade nicht immer große Schonung seiner Untertanen behaupten, wenn es sich um seine eigenen kostspieligen Gewohnheiten handelte; aber in diesem Falle ging er auf die Beschwerden der Wachszinsigen mit großer Entschiedenheit gegen seine Beamten in Meppen und Lathen vor und drohte ihnen bei Überschreitung ihrer Befugnisse die schärfste Bestrafung an.
Dass sich gerade im Lathener Bezirk so viele Wachszinsige gefunden zu haben scheinen und dort die Missstände besonders hervortraten, lässt sich, wenn man die Geschichte vor Augen hat, wohl erklären. In Lathen und Umgegend saßen seit Jahrhunderten die Junker v. Schwenke und v. Kobrink auf großen Corveyschen Gütern und waren zumeist zugleich münsterische Beamte. Sie verstanden es meisterhaft, die fast stets geldbedürftigen Corveyer Äbte und Pröpste auszunutzen und zugleich die auf corveyischen Grund und Boden ansässigen Bauern nach allen Regeln der Kunst zu schinden, so dass darüber ein mehr als hundert Jahre andauernder Prozess entstand, dessen Akten den Stoff zu einem spannenden Heimatroman abgeben können. Auch mit der münsterischen Landesverwaltung hatten sie mehrfach Konflikte, wobei sie oft in tragikomisch. Weise die unschuldig Verfolgten zu mimen verstanden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war ihre Macht zwar im wesentlichen gebrochen, aber der Schwenke-Kobrinksche Geist wirkte doch nach, und wenn auch anderwärts der Bauer nicht viel zu jubeln hatte, so doch wohl in der Lathener Gegend erst recht nicht, obschon oder vielleicht weil sie zu den wirtschaftlich am besten stehenden gehörte. Es mag auch in Berechnung gezogen werden können, dass die dortigen Bauern infolge der jahrhundertelangen Kämpfe um ihre Gerechtsame diese zu schützen mehr als andere gelernt hatten.
Um die Wirkung des fürstbischöflichen Erlasses festzustellen, fehlen mir die Unterlagen; die obigen Zeilen hatten auch nur den Hauptzweck, der Heimatkunde halber an einem Beispiel klar zu machen, was unter der Einrichtung der Wachszinsigen zu verstehen ist, wenn die Rede darauf kommt.
Quelle: Mein Emsland Jahrgang 1928 Beilage zur Ems-Zeitung
Verlag: Buchdruckerei der Ems-Zeitung L. Rosell, Papenburg