† Hermann Abels
Im Folgenden drucken wir einen alten Aufsatz des verdienten früheren Schriftleiters des Heimatbornes ab, um ihn einer unverdienten Vergessenheit zu entreißen. Über die Martinskirche auf dem Kerckberge ist nichts Besseres geschrieben worden. Die Abhandlung, die in der „Sonntagsfeier“ vom 21. Februar 1897 stand, wird auch heute den Freunden der heimatlichen Geschichte willkommen sein.
Etwa fünf Minuten westlich von der bekannten Sankt Meinolfus-Kapelle bei Böddeken findet sich am Bergabhange ein großer Trümmerhaufen, in dessen Mitte man ein Mauerwerk in Gestalt eines länglichen Vierecks erblickt – die Reste der jetzt fast gänzlich in Vergessenheit geratenen St. Martinskirche auf dem Kerckberge, wohl eine der ältesten, die das Bistum Paderborn aufzuweisen hat. Sie ist aus kleinen Kalksteinen erbaut gewesen und weist sowohl nach Anlage wie nach ihrer Bauart auf ein sehr hohes Alter hin, wenn auch über die Zeit ihrer Erbauung keine urkundlichen Nachrichten vorliegen. Auch der Umstand, dass die Höhe, auf der sie steht, stets „Kerckberg“ heißt, verdient Beachtung.
Wie gesagt, bildet sie ein einfaches Rechteck ohne Apsis oder Concha und findet in der ganzen Umgegend nur ein Gegenstück in der dem hl. Antonius geweiht gewesenen, ebenfalls in Trümmern liegenden bedeutend kleineren Kapelle auf dem Tönsberge bei Oerlinghausen (Lippe) in dem hochinteressanten großen Frankenlager dortselbst. Wenn man nach Analogie anderer Frankenlager die Vermutung aussprechen darf, dass es sich bei der letzteren um eine Lagerkapelle handelt, so ist man auch versucht, den Bau der Martinskirche auf dem Kerckberge in die fränkische Zeit zurückzuverlegen, wozu die Tatsache noch einen besonderen Anlass gibt, dass sie dem speziellen Heiligen des Frankenlandes, dem hl. Martin von Tours, geweiht war.
Es kommt hinzu, dass man, wenn man den Bau in die spätere Zeit setzen will, vergebens nach einem Grunde sucht, dort eine Kirche zu errichten, da es an einer umliegenden Gemeinde gänzlich mangelte und die nächsten Ortschaften entlegen waren. Setzt man aber die Errichtung der Kirche in die ersten Jahrzehnte oder das erste Jahrhundert der Bekehrung der Sachsen durch die Franken, so ist der Bau an dieser offenbar für später ungünstigen Stelle viel leichter erklärlich, indem man damals über die spätere Entwicklung der im Entstehen begriffenen christlichen Ansiedlungen noch im Ungewissen sein musste.
Die geschichtlichen Nachrichten über das trotz seiner Einfachheit interessante Bauwerk sind recht dürftig; die erste mir bekannte Erwähnung findet sich im Böddeker Copiarium vom Jahre 1336. Damals schenkte (laut einer im Asseburger Urk.-B. unter Nr. 986 abgedruckten Urkunde) die Böddeker Äbtissin Sophia von Asseburg der Capella St. Joannis Evangelistae (in der Curia der Äbtissin, also wohl deren Hauskapelle) den Kaplanshof zu Heddinghausen bei Rüthen. Unter den Zeugen erscheint auch neben dem plebanus (Pfarrer) von Böddeken der plebanus Andreas vom Kerckberg.
Eine fernere Erwähnung findet sich im genannten Copiarium vom Jahre 1350. Damals hat Berthold, „decanus de Diderickessen, rector capelle St. Martini in Bodeken“ sie, nachdem sie gänzlich in Verfall geraten war – also wohl schon auf ein höheres Alter zurückblicken konnte – wieder herstellen und von neuem konsekrieren lassen. Aus der Bezeichnung „rector“ geht ebenfalls hervor, dass die Kirche Pfarrrechte besaß, sie wird übrigens auch später ausdrücklich als „ecclesia parochialis“ bezeichnet, obwohl über ihren Pfarrsprengel nichts Näheres bekannt ist.
Berthold verlieh der Kirche bedeutende Einkünfte und Grundbesitz, ebenfalls wurden die Güter der capella St. Joannis Evangelistae auf sie übertragen und der Äbtissin des Stiftes Böddeken das Patronatsrecht verliehen. Berthold von Büren, als Erbe des Donators, gab seine Zustimmung durch Siegel, ebenfalls die Äbtissin Sophia von Büren; Bischof Balduin von Paderborn bestätigte die Urkunde (Cop. Bodec. Nr. 381).
Mit dem Verfall von Böddeken verfiel auch die Kirche auf dem Kerckberg und als 1408 die Augustiner nach Böddeken kamen, fanden sie diese verlassen und verwüstet, jedoch noch in einem solchen Zustande, dass sie in wenigen Wochen wieder zum Gottesdienste hergerichtet werden konnte und ein Jahr lang dazu benutzt wurde, da die Böddeker Klosterkirche auch selbst verwüstet unter dem Interdikte stand.
Noch einmal wurde die Kirche renoviert, und zwar, wie Brüsiken in seiner Böddeker Chronik p. 57 nach Johannes Produs angibt, durch Henricus de Stahl († 1434), den vierten Prior von Böddeken. Damals war sie bereits wieder „desolata“, also unbenutzt und verfallen. Er ließ nach beiden Seiten hin Zellen anbauen, damit kranke und schwache Mitglieder des Klosters nach Möglichkeit dem Gottesdienste obliegen könnten („ut divinis quantum possent in dicta ecclesia incumberent“).
Zur Zeit des Überganges des Stiftes Böddeken an die Augustiner wird noch ein Pfarrer (plebanus) der Kirche auf dem Kerckberg in den Urkunden genannt, Hermannus Rytewege; später ist meines Wissens ein solcher nicht mehr nachweisbar, was nicht auffällig ist, da die pfarramtlichen Handlungen von Böddeken aus besorgt wurden. Die Kirche wurde nämlich durch Urkunde des Electus Wilhelm v. Berg, datiert Dringenberg, 8. September 1410, (Cop. Bodec. Nr. 24) dem Kloster Böddeken förmlich incorporiert und hörte damit auf, pfarramtliche Rechte zu haben.
Seit der Restauration unter Heinrich von Stahl scheint die Kirche dem Verfall überlassen worden zu sein, und in unsern Tagen ist keine Aussicht vorhanden, dass das altehrwürdige Bauwerk aus seinen Trümmern wieder ersteht.
Quelle: Die Warte 15. Jahrgang Heft 10 30.10.1954
Verlag „Die Warte“, August Thiele – Paderborn